Sala und das Mixturtrautonium auf Höhenflügen

„Wir würden The Birds wahrlich Unrecht tun, versäumten wir den Soundtrack zu erwähnen. Es gibt natürlich keine Musik, aber die Vogelgeräusche funktionieren wie eine wirkliche Partitur.“

– François Truffaut

In diesem Zitat aus einem publizierten Interview mit Alfred Hitchcock,[19] bezieht sich der französische Regisseur François Truffaut vor allem auf die Reihe an Vogelrufen und Flügelschlägen, aus denen sich der neuartige Soundtrack von Hitchcocks The Birds (1963) zusammensetzt. Erstaunlicherweise, stammen diese Geräusche nicht von echten Vögeln. Stattdessen wurden sie von Sala am Mixturtrautonium elektronisch zusammengesetzt.

Die Handlung des Films dreht sich um die junge Prominente Melanie Daniels, die es nach Bodega Bay verschlägt. Sie ist dort auf der Suche nach Mitch Brenner, der ihr Interesse geweckt hatte, als sie sich zufällig in einer Tierhandlung in San Francisco begegnet waren. In Bodega Bay erleben sie und die Einheimischen eine merkwürdige Serie von unerklärlichen, gewaltsamen Angriffen durch Vögel. Nach einem massiven Ansturm auf das Haus der Brenners und einem hinterhältigen Überfall der Vögel auf Melanie, alleine auf dem Dachboden, entrinnen sie und die Brenner-Familie nur knapp dem Tod. In einer Zeit, als Mikrofontechnik noch in den Kinderschuhen steckte, wäre das Aufnehmen einer Vielzahl von Vögeln entweder logistisch unmöglich, oder wäre qualitativ so mangelhaft, dass der dramatische Effekt stark beeinträchtigt würde. Ohne die bemerkenswerten Klangfarben des Mixturtrautoniums wäre die Montage der Vogelgeräusche in The Birds nicht denkbar gewesen, insbesondere in der Zeit vor dem Synthesizer.

Auf Sala und das Mixturtrautonium wurde Hitchcock durch den Amerikaner Remigius Oswalt (Remi) Gassmann aufmerksam. Gassmann studierte sechs Jahre lang mit Hindemith Komposition an der Musikhochschule, wo er Bekanntschaft mit Sala machte. 1959 nahm Gassmann wieder Kontakt zu Sala auf und schlug ihm die Zusammenarbeit an einem Ballett mit elektronischer Musik vor. Das daraus resultierende Ballett Paean, choreografiert von Tatjana Gsovsky, wurde 1960 in Berlin uraufgeführt. Die Partitur wurde für ein neues Werk des New York City Balletts adaptiert: Electronics, choreografiert von George Balanchine, uraufgeführt in New York 1961.

Remi Gassmann: Electronics – Music to the Ballet.
Enthalten in Remi Gassmann / Oskar Sala: Electronics / Five Improvisations on Magnetic Tape.
Original: LP, Westminster, 1961.


Gassmann hatte gute Beziehungen. Saul Bass, der die Titelsequenz für Hitchcocks Filme Vertigo, North by Northwest und Psycho entworfen hatte, gab Gassmann den Tipp, dass Hitchcock nach einer akustischen Lösung für seinen neusten Film suchte: Gewöhnliche Rufe von Krähen und Möwen würden nicht ausreichen, was er brauchte war Geschrei, welches das Publikum in Angst und Schrecken versetzen könnte.

„Wir haben nun, durch die elektronische Erzeugung, zu unserer Verfügung, was treffend als ‚die akustische Gesamtheit‘ (‚the totality of the acoustical‘) bezeichnet wurde. Vertraute Klänge – von gewöhnlichen Geräuschen über Musik und esoterische Effekte – wie auch ein beinah grenzenloser Vorrat an komplett fremden Geräuschen, kann nun für Filmzwecke elektronisch erzeugt, kontrolliert und verwendet werden.“[20]

– Remi Gassmann erläutert Alfred Hitchcock das Potential des Mixturtrautoniums in einem Brief, datiert auf den 18. April 1962.


Im Mai 1962 wurde Sala vorläufig mit der Bereitstellung der Soundeffekte beauftragt, die für den Vogel-Angriff auf das Haus der Brenners und Melanies fast tödlicher Begegnung mit den Vögeln auf dem Dachboden verwendet werden sollten – eine Prüfung, die Sala bestand, denn Hitchcock betraute ihn später mit den Vogelgeräuschen für den gesamten Film. Bei einem viel beachteten Besuch in Salas Berliner Studio, waren sowohl Hitchcock als auch sein langjähriger Musikkollaborateur Bernard Herrmann offensichtlich so zufrieden mit Salas Ergebnissen, dass sie früher in den Weihnachts-Urlaub nach St. Moritz weiterfahren konnten als geplant.[21]


[19] François Truffaut et al., Hitchcock. A Definitive Study, New York u.a. 1967, S. 223.

[20] Gassmanns Brief an Hitchcock, 18. April 1962. Remi Gassmann Papers, University of California, Irvine Libraries, zitiert in Richard Allen, „The Sound of The Birds“, in: Partners in Suspense. Critical Essays on Bernard Herrmann and Alfred Hitchcock, Steven Rawle und K. J. Donnelly (Hrsg.), Manchester 2017, S. 113–134, hier S. 114.

[21] Das ist eine von Salas liebsten Anekdoten. Siehe z.B. Oskar Sala, „My Fascinating Instrument“, in: Neue Musiktechnologie. Vorträge und Berichte vom KlangArt-Kongress 1991 an der Universität Osnabrück, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften, Bernd Enders und Stefan Hanheide (Hrsg.), Mainz u.a. 1993, S. 75–93, hier S. 88.

Zitierweise: Julin Lee, „Subharmonische Fantasien: Das Vermächtnis von Oskar Sala und dem Mixturtrautonium“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.

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