Von der Bühne zum Bildschirm

Das Trautonium im Studio

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Sala das Trautonium abermals weiter. Größere musikalische Virtuosität war sein Ziel und so vollendete er 1952 die Konstruktion des Mixturtrautoniums, in der bis zu vier subharmonische Frequenzen von der Grundfrequenz aus generierbar sind, und das jeweils auf beiden Spielmanualen.

Anders als bei den Mixturen einer Pfeifenorgel, stammen diese Töne nicht aus der Obertonreihe, sondern der Untertonreihe (auch subharmonische Reihe genannt). Sie ist die Umkehrung des Obertonspektrums. Sala entwickelte und patentierte erfolgreich eine Synchronisationsschaltung, welche die zeitgleiche Erzeugung von bis zu vier subharmonischen Frequenzen, bei einem bestimmten ganzzahligem Verhältnis zu der Haupttonfrequenz, erlaubt.[14]

Die subharmonische Reihe (Untertonreihe) im Vergleich mit der Obertonreihe in einer Darstellung von Oskar Sala. Foto: Deutsches Museum, Archiv, CD 62719 CC BY-SA 4.0

Zertifikat für das US-Patent Nr. 2740892, verliehen an Oskar Sala für ein „synchronizing system for electrical musical instruments“ vom 3. April 1956. Foto: Deutsches Museum, Archiv, CD 62724 CC BY-SA 4.0

Das Mixturtrautonium (Inv.-Nr. 2004-385) – das abschließende Modell in der Entwicklung des Trautoniums, fertiggestellt von Oskar Sala selbst. Foto: Deutsches Museum, DM Fotoatelier CC BY-SA 4.0


Das Mixturtrautonium kann bis zu vier Kippschwinggeneratoren (Nebengeneratoren) zusätzlich zum Hauptkippschwinggenerator des jeweiligen Manuals fassen. Jeder Nebengenerator besteht wiederum aus drei regulierbaren subharmonischen Einstellungen. Für jedes Manual kann die gewünschte Einstellung angewählt werden, indem man die Pedale seitwärts auf die Position h, m oder t bewegt. Man könnte dies für eine Maßnahme halten, um die Einschränkung durch die monophonen Spielmanuale teilweise aufzuheben, mehrere unabhängige Stimmen waren auf einem einzelnen Manual aber noch immer nicht gleichzeitig spielbar.


Ungeachtet der anhaltenden Limitierung durch die Beschaffenheit des Manuals, verschaffte die subharmonische Ausstattung des Mixturtrautoniums Sala alle nötigen Mittel, um die einzigartige Ästhetik zu entwerfen, die seine Werke auszeichnet. Durch die Auswahl einer Einstellung, die das Maximum von vier Tönen aktivierte, wurde eine dichte Textur von parallel fortschreitenden Akkorden erzeugt. Doch waren dies „Mixturen“, wie Sala anmerkte, keinesfalls die Summe gleichwertiger Töne, was in notierter Form so erscheinen mag. Meist bestanden sie aus einem „Führungston“ und einem „Akkordgerüst“, das sich aus einer Kombination von Untertönen heraus konstruiert, deren Lautstärke individuell angepasst werden kann.[15]

1958 machte Sala das Mixturtrautonium zum Herzstück seines Studios in Berlin.[16] Zur Ausstattung gehörten Zusatzgeräte, die er das „elektronische Schlagwerk“ nannte: Ein „elektrisches Metronom“, ein „Abklinggerät“ und ein „Rauschgenerator“, der dazu dient, die vom Mixturtrautonium erzeugten Geräusche zu modifizieren.[17] Dieses Zubehör steigerte die Vielseitigkeit des Mixturtrautoniums enorm, nicht nur für rein instrumentale Werke, sondern auch in Bezug auf audio-visuelle Medien. In Verbindung mit Tonbandtechniken konnten die Grenzen des Mixturtrautoniums weiter überschritten werden. Das Vinyl-Album Electronic Virtuosity (1970) enthält seine ersten elektronischen Kompositionen für Mixturtrautonium und „Studiotechnik.“

Concertando. Zweiter Satz von Oskar Salas Resonances. Concerto for Mixture-Trautonium and Electronic Orchestra. [Fugato - Concertando - Ostinato].
Enthalten in Oskar Sala: Electronic Virtuosity
Original: LP, Selected Sound, 1970.

Fotocollage von Oskar Salas Studio in Berlin (undatiert). Foto: Deutsches Museum, Archiv, CD 76052 CC BY-SA 4.0


Sala stattete sein Studio mit einem Steenbeck-6-Teller-Filmschneidetisch und einer „Perfomaschine“ aus (eine Tonbandmaschine für Lochbänder), was eine exakte Ton-Bild-Synchronisation und anschließende High-Fidelity-Tonwiedergabe ermöglichte. Sala brachte sich selbst die Fähigkeiten bei, die er für den Umgang mit diesem Hightech-Equipment brauchte. Sein persönliches Engagement zahlte sich in der Entdeckung von Schnitttechniken aus, die zu ungeahnten Ergebnissen in seiner elektronischen Musik führten: „daß man in meiner elektronischen Musik Schnittmöglichkeiten hat, die man sich bei nichtelektronischer Musik niemals getrauen würde.“[18]

Sala verlieh den idiomatischen Klang seines Mixturtrautoniums an Film und Fernsehen, insbesondere an Kultur- und Industriefilme der 1950er- und 60er-Jahre. Besonders hervorzuhebende Leistungen sind etwa seine Arbeit für den Industriefilm Stahl, Thema mit Variationen (1960) von Hugo Niebeling, der 1961 auf dem Industriefilm-Festival in Rouen mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde und der Kurzfilm A fleur d’eau (1962) von Alexander Seiler und Rob Gnant, der einen der beiden Grand Prix erhielt, die 1963 in Cannes für Kurzfilme verliehen wurden. Die Vogelgeräusche, die er für Alfred Hitchcocks Film The Birds (1963) produzierte, sollten sein weltweit berühmtestes Werk bleiben.

Die Webseite des Oskar-Sala-Fonds (http://www.oskar-sala.de/oskar-sala-fonds/klaenge/) enthält einige, von seinen originalen Tonbändern stammende Sound-Clips, inklusive Ausschnitten aus Hitchcocks The Birds, Willy Zielkes kurzem Dokumentarfilm Aluminium. Porträt eines Metalls (1957/58) und Manfred Durnioks Film Unterwegs nach Kathmandu (1971).


[14] Sala erläutert die Funktionen des Mixturtrautoniums in Oskar Sala, „Das Mixtur-Trautonium“, in: Melos 17 (1950), S. 247–251, vor allem S. 249–251; und später detaillierter in Oskar Sala, „Subharmonische elektrische Klangsynthesen“, in: Fritz Winkel (Hrsg.), Klangstruktur der Musik. Neue Erkenntnisse Musik-Elektronischer Forschung, Berlin 1955, S. 89–108, vor allem S. 89–95.

[15]Oskar Sala, „Das Mixtur-Trautonium“, in: Melos 17 (1950), S. 247–251, hier S. 250.

[16] In der neuen Dauerausstellung für Musikinstrumente im Deutschen Museum wird ein Teil von Salas Studio als Rekonstruktion zu sehen sein. Für weitere Informationen siehe Christina Dörfling, „Reconstructing a Studio: Oskar Sala’s Nachlass at the Deutsches Museum, Munich“, Sound & Science: Digital Histories, Max Planck Institute for the History of Science, https://acoustics.mpiwg-berlin.mpg.de/contributor-essays/reconstructing-studio-oskar-salas-nachlass-deutsches-museum-munich

[17] Für detailliertere Informationen siehe Oskar Sala, „Subharmonische elektrische Klangsynthesen“, in: Fritz Winkel (Hrsg.), Klangstruktur der Musik. Neue Erkenntnisse Musik-Elektronischer Forschung, Berlin 1955, S. 89–108, vor allem S. 99–101.

[18] Peter Badge, Oskar Sala. Pionier der elektronischen Musik, Göttingen 2000, [unpaginiert].

Zitierweise: Julin Lee, „Subharmonische Fantasien: Das Vermächtnis von Oskar Sala und dem Mixturtrautonium“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.

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