Das Trautonium auf Sendung
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 gab die Reichsrundfunkgesellschaft ein größeres, weiterentwickeltes Trautonium in Auftrag, das dem Reich zu Propagandazwecken dienen sollte. Da Trautwein inzwischen an der Hochschule zum Professor für Akustik ernannt worden war, übernahm Sala die Aufgabe allein. So entwickelte er, als seine erste eigenständige Konstruktion, das Rundfunktrautonium.[5]
Die auffallendste Änderung ist die Erweiterung durch ein zweites Spielmanual. Dieses zweite Manual half Sala auf einen Schlag die beiden Einschränkungen des vorangegangenen Modells zu überwinden: den begrenzten Tonumfang und die monophone Spielweise. Außerdem fügte er den Manualen jeweils ein Pedal hinzu. Diese Pedale können das Register des Manuals hinauf oder hinab transponieren und somit die verfügbare Auswahl an Tönen erweitern. Auch wenn Sala in seinen Aufzeichnungen die drei Pedal-Einstellungen mit h (hoch), m (mittel) und t (tief) bezeichnet, wurden sie tatsächlich durch horizontale Bewegung aktiviert.
Durch diese Neuerungen konnte Sala auch seine Auftritte auf die nächste Stufe bringen. Ihm wurde ein eigenes Radioprogramm angeboten, genannt Musik auf dem Trautonium. In diesen wöchentlichen Sendungen, die ungefähr 15 Minuten dauerten, spielte Sala mit Bedacht weder Bach, noch Mozart oder Beethoven, dafür „… immer neue und virtuose Geschichten, mal was von Busoni, auch mal Paganini, und vor allem Originalkompositionen, von denen Harald Genzmer viele schrieb.“[6] Seine Auswahl ist wenig überraschend: Salas Vorzeigestücke waren mehrheitlich Werke, die ursprünglich für Saiteninstrumente komponiert worden waren. Schließlich wären die komplexe Polyphonie und harmonischen Feinheiten der Musik von Bach, Mozart und Beethoven (vor allem deren Klaviermusik), gar nicht spielbar gewesen, besitzt das Rundfunktrautonium doch nur zwei monophone Manuale. Überdies war Salas Motivation für die Ergänzung eines zweiten Manuals vielmehr „eine Melodiestimme durch [das] Spiel auf 2 Manualen vollkommen zu gestalten“.[7]
Von der Ausweitung der Register zu früher Subharmonik
Sala hatte bereits vor der Entwicklung des Rundfunktrautoniums damit begonnen anhand anderer Versuchsmodelle zu experimentieren. Ziel war die Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten. Angespornt durch ein Treffen mit Arnold Schönberg im Jahr 1930, der von dem eingeschränkten Tonumfang des Trautoniums ganz und gar nicht beeindruckt war,[8] montierte Sala zwei zusätzliche Sets von je drei Knöpfen am Trautonium, die es ihm erlaubten, das Instrument höher oder tiefer zu stimmen. Die drei Register – hoch, tief und die ursprüngliche Mitte – wurden durch einen Schalter angewählt. Hindemith komponierte das Konzertstück für Trautonium und Streichorchester speziell für dieses verbesserte Instrument. Sala präsentierte das Stück 1931 auf seinem erweiterten Trautonium, anlässlich der Tagung der Rundfunkfachleute.
Paul Hindemith: Konzertstück für Trautonium und Streichorchester
Enthalten in Oskar Sala: Elektronische Impressionen
CD, Erdenklang, 1998.
Originaleinspielung von 1977 durch Oskar Sala am Mixturtrautonium mit dem Münchner Kammerorchester, geleitet von Hans Stadlmair.
Einzelstücke:
1. Leicht bewegt
2. Lied, ruhig bewegt
3. Im ersten Zeitmaß
Außerdem hatte Sala das Rundfunktrautonium mit zwei elementaren subharmonischen Mixturen ausgestattet, was Hindemith sehr interessierte: „1935 Anfang August. Langsames Stück und Rondo für Trautonium. Für Sala geschrieben. Interessante Aufgabe, da das Trautonium neuerdings vierstimmig behandelt werden kann, jedoch nur so, daß je zwei Stimmen gekoppelt werden mit den Tönen 2, 3, 4 oder 5 der Untertonreihe (Oktav, Duodezime, zweite Oktav und Terz unter dieser), wodurch zwar starke Beschränkungen fürs Setzen, aber durch das Durcheinanderlaufen beider Kopplungsreihen (die unabhängig und verschieden voneinander laufen können) seltsame Möglichkeiten sich ergeben.“ [9] 1985 rekonstruierte Sala das Langsame Stück und Rondo für Trautonium, basierend auf der originalen Einspielung, die er kurz nach dem Krieg an Hindemith nach Amerika geschickt hatte.
Paul Hindemith: Langsames Stück und Rondo für Trautonium
Enthalten in Oskar Sala: Subharmonische Mixturen
CD, Erdenklang, 1997.
[5] Brilmayer erwähnt, dass die Trennung auch einer kleinen Auseinandersetzung zwischen Sala und Trautwein geschuldet sein könnte. Benedikt Brilmayer, Das Trautonium. Prozesse des Technologietransfers im Musikinstrumentenbau, Diss. Augsburg 2017, online verfügbar unter https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/index/index/docId/4059, S. 280.
[6] Martin Demmler, „Die Wiederentdeckung des Trautoniums: Der Trautonium-Virtuose und Elektronik-Pionier Oskar Sala feiert seinen 90. Geburtstag“, in: Das Orchester 48 (2000), S. 26–30, hier S. 28.
Zitierweise: Julin Lee, „Subharmonische Fantasien: Das Vermächtnis von Oskar Sala und dem Mixturtrautonium“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.