Unterschiedliche Arten von Holzpfeifen
Die wichtigsten Pfeifenreihen der organi di legno bestanden normalerweise aus Prinzipalpfeifen, die an beiden Enden offen und von relativ enger Mensur waren. Sie verfügten außerdem über eine tiefe, weite Mündung (die Öffnung nahe dem Pfeifenfuß, die den Luftstrom schneidet). Mit Ausnahme der organi di legno kommen hölzerne Prinzipalpfeifen in der Geschichte des Orgelbaus nur selten vor. In den seltenen Fällen, in denen Holzpfeifen heute im Prinzipalregister eingesetzt werden, wird in der Regel im Registernamen auf das unübliche Material verwiesen: Bezeichnungen wie „Eichenprinzipal“, „Holzprinzipal“ oder „offene Holzpfeife“ dienen dazu, diesen Unterschied zu unterstreichen.
Normalerweise wurde Holz im Orgelbau seit jeher als Material für den Bau zweier weiterer Pfeifenarten verwendet, die sich sowohl über ihren Klang als auch in ihrer Konstruktion von denen der Prinzipale unterscheiden. Die erste, die auch am häufigsten vorkommt, ist die gedackte, die oben geschlossene Pfeife. Sie wird am oberen Ende entweder mit einem Holzstopfen oder einer Metallklappe abgedeckt, wodurch sich die Länge der schwingenden Luftsäule beinahe verdoppelt. Demnach ist eine gedackte Pfeife nur halb so lang wie eine offene Pfeife derselben Tonhöhe (die tiefste Pfeife in einer 16‘ gedackten Pfeifenreihe ist folglich nur 8‘ lang). Gedackte Pfeifen können enger oder weiter Mensur sein.
Der Klang der gedackten Pfeife unterscheidet sich stark von dem einer (offenen) Prinzipalpfeife. Wie das Spektrogramm zeigt, werden die ganzzahligen Obertöne der gedackten Pfeifen gänzlich eliminiert, die meisten Unharmonischen erklingen ebenfalls signifikant schwächer. Ihr Grundton hingegen ist etwas lauter als bei der Prinzipalpfeife. Dieses Klangfarbenspektrum erzeugt den geisterhaften Klang der gedackten Pfeifen. Wie im vorigen Abschnitt bereits erwähnt wurde, entsprach dieses Timbre nicht dem der organi di legno, die zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert so weit in Italien verbreitet waren.
Eine zweite Kategorie von Holzpfeifen, die in unterschiedlichen Orgelbautraditionen weit verbreitet war, ist die Offenflöte mit breiter Mensur. Das Obertonspektrum einer Offenflöte liegt zwischen dem der Prinzipalpfeife und der gedackten: Der Grundton ist satt und kräftig, die Obertöne eher gedämpft. Im Gegensatz zur gedackten wurde diese Pfeifenart häufig im italienischen Orgelbau verwendet – egal, ob es sich um eine Orgel mit Holz- oder mit Metallpfeifen handelte.
In den seltenen Fällen, in denen moderne Orgelbauer hölzerne Prinzipalpfeifen konstruiert haben, sind die Pfeifen meist absichtlich so gestimmt, dass ihr Ton eher einer gedackten oder einer offenen Holzflöte ähnelt als einem Metallprinzipal. Als Beispiel können wir drei verschiedenen Pedalregister der Rosales-Orgel in der First Presbyterian Church in Oakland, Kalifornien vergleichen. Die Bourdon 16‘ ist gedackt, die Praestant 16‘ ist ein Metallprinzipal. Offene Holzflöte 16‘ liegt irgendwo zwischen diesen beiden, ähnelt vom Klang her aber eher der gedackten Bourdon als der Praestant.
Vielen Dank an die First Presbyterian Church in Oakland für den Zugang zu ihrer Orgel.
Zitierweise: Leon Chisholm, „Klangholz und Holzklang: organo di legno“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.