Akustikforschung und Klavierbau

Lange galt die Akustik als der am wenigsten fortgeschrittene Zweig der Physik.[1] Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm das Wissen um die  Natur der Klänge aber rapide zu. Besonders durch die Erfindung neuer Apparate konnten Fragestellungen angegangen werden, die sich zuvor dem Verständnis entzogen. Erstmals wurden Klänge in ihre Bestandteile zerlegt und künstlich wieder zusammengesetzt, um so dem bislang rätselhaften Phänomen der Klangfarbe auf die Spur zu kommen.[2] Zudem konnten nun Frequenzen immer genauer gemessen und die anatomischen Vorgänge beim Hören besser verstanden werden. Von diesen Fortschritten profitierten auch Musikinstrumentenbauer.

Helmholtz als Akustikforscher mit einem Resonator in den Händen und einer Sirene nach Heinrich Wilhelm Dove auf dem Regal (undatiert, Urheber unbekannt). Foto: Universitätsarchiv Heidelberg, BA Pos I 1305

Titelblatt der Erstausgabe der Lehre von den Tonempfindungen von 1863. Public Domain

Eine zentrale Figur der Akustikforschung des 19. Jahrhunderts war der Universalgelehrte Hermann von Helmholtz (1821-1894). Mit seinem Hauptwerk auf diesem Gebiet, Die Lehre von den Tonempfindungen von 1863, richtete er sich ausdrücklich an eine breite Gruppe Musikinteressierter.[3] Durch die Vermittlung neuer wissenschaftlichen Ergebnisse an Laien überbrückte er seinem erklärten Ziel gemäß die Trennlinie zwischen Wissenschaft und Kunst. Helmholtz war selbst ein geübter Pianist und untersuchte mit seinen neuen Messmethoden die klanglichen Eigenschaften von Musikinstrumenten im Detail. Somit waren seine Resultate wiederum für die Klavierbauer unmittelbar anwendbar.

 

Diesen Nutzen bestätigte auch der Musikwissenschaftler Oscar Paul in seiner Geschichte des Claviers von 1868.[4] Fünf Jahre nach Erscheinen der Tonempfindungen sagte Paul voraus, "dass die Instrumentenbauer zur Verarbeitung der eindringlichen Lehren jenes Meisters [Helmholtz] noch langer Zeit bedürfen werden".[4] Wiederum 25 Jahre später, als Helmholtz 1893 in die USA reiste, konnte William Steinway verkünden: "without Helmholtz' epic discoveries piano manufacturing would have never reached such development and completeness".[5] Diese Aussage lässt eine gewisse Abgeschlossenheit erkennen. Tatsächlich ist der hier umrissene Zeitraum deckungsgleich mit der Phase, in der Steinway die Flügelmodelle von Grund auf konzipierte und dies in zahlreichen Patenten festhielt.  Als technischer Leiter war dafür vor Allem C. F. Theodore Steinway (1825-1889), der älteste Sohn des Firmengründers, verantwortlich. Er hatte bereits in jungen Jahren eine Ausbildung in Akustik erhalten hatte und war Zeit seines Lebens bekannt für seine besonders wissenschaftliche Arbeitsweise.[6] Somit konnte er das Potential von Helmholtz' Forschungen besonders gut erkennen und in der Praxis ausschöpfen.

 

Christian Friedrich Theodor Steinweg bzw. C. F. Theodore Steinway (1825-1889). Public Domain. Quelle: Alfred Dolge: Pianos and Their Makers, Covina 1911, S. 303

Überblick über den zeitlichen Verlauf von Steinways Patentanmeldungen.  Zwischen 1868 und 1885 gehen fast alle Einträge auf C. F. Theodore Steinway zurück. (Bitte angeben) Graphik: N. Plath, Universität Hamburg CC BY-SA 4.0

Quellen

(1) Brenni, Paolo: 1800-1900: a century of instruments for the study of acoustics, in: Acoustics and its Instruments. The Collection of the Istituto Tecnico Toscano, Florenz 2001, S. 57-72.

(2) Ausführlich zum vielschichtigen Phänomen der Klangfarbe und seiner Erforschung bei Muzzulini, Daniel: Genealogie der Klangfarbe, Basel 2004. Die open access-Version kann hier aufgerufen werden.

(3) Helmholtz, Hermann: Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik, Braunschweig 1863. Wenn nicht anders angegeben beziehen sich alle Verweise zu den Tonempfindungen auf diese Auflage. Das Adelsprädikat "von" wurde Helmholtz erst 1883 verliehen (vgl. https://www.deutsche-biographie.de/sfz70096.html).

(4) Paul, Oscar: Geschichte des Claviers vom Ursprunge bis zu den modernsten Formen dieses Instruments, Leipzig 1868, S. 4f..

(5) New-Yorker Staats-Zeitung, 6. Oktober 1893, S. 12. Der volle Zeitungsartikel ist auf der Seite des William Steinway Diary abrufbar.

(6) Morris Smith: A Noble Art. Three Lectures on the Evolution and Construction of the Piano, New York 1892.

Zitierweise: Katharina Preller, „"one of the most beautiful applications of science to art"? Der Helmholtz-Flügel von Steinway & Sons“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.


[1] Brenni, Paolo: 1800-1900: a century of instruments for the study of acoustics, in: Acoustics and its Instruments. The Collection of the Istituto Tecnico Toscano, Florenz 2001, S. 57-72.

[2] Ausführlich zum vielschichtigen Phänomen der Klangfarbe und seiner Erforschung bei Muzzulini, Daniel: Genealogie der Klangfarbe, Basel 2004. Die open access-Version kann hier aufgerufen werden.

[3] Helmholtz, Hermann: Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik, Braunschweig 1863. Wenn nicht anders angegeben beziehen sich alle Verweise zu den Tonempfindungen auf diese Auflage. Das Adelsprädikat "von" wurde Helmholtz erst 1883 verliehen (vgl. https://www.deutsche-biographie.de/sfz70096.html).

[4] Paul, Oscar: Geschichte des Claviers vom Ursprunge bis zu den modernsten Formen dieses Instruments, Leipzig 1868, S. 4f..

[5] New-Yorker Staats-Zeitung, 6. Oktober 1893, S. 12. Der volle Zeitungsartikel ist auf der Seite des William Steinway Diary abrufbar.

[6] Morris Smith: A Noble Art. Three Lectures on the Evolution and Construction of the Piano, New York 1892.