Bericht eines Praktikanten

Michael Zahnweh

Der folgende Essay wurde von Michael Zahnweh verfasst, der vom 23.7. bis zum 7.9.2019 ein Praktikum bei der am Deutschen Museum angesiedelten Forschungsgruppe „Materialität der Musikinstrumente“ absolvierte. Er berichtet über seine Lehrzeit bei dem Orgelbauer Walter Chinaglia, während der er ein Wellenbrett für Chinaglias aktuelles Projekt anfertigen durfte.

Walter Chinaglia und Michael Zahnweh biegen Stäbe für die Wellen. Foto: Deutsches Museum, L. Chisholm CC BY-SA 4.0

Während meines Praktikums am Forschungsinstitut des Deutschen Museums hatte ich die Möglichkeit, den Orgelbauer Walter Chinaglia kennenzulernen, der von der Forschungsgruppe „Materialität der Musikinstrumente“ als Visiting Fellow eingeladen worden war. Da ich weder Organist noch Instrumentenbauer bin, sondern Musikwissenschaft studiere, war ich davon ausgegangen, dass ich ihn ein wenig bei seiner Arbeit unterstützten oder bei der Dokumentation seiner Arbeitsschritte für einen geplanten Vortrag über das Projekt behilflich sein würde.

Stattdessen gab mir Walter die Gelegenheit, das Wellenbrett (oder catenacciatura, wie es auf Italienisch heißt) mithilfe seiner Anweisungen weitestgehend selbst zu bauen. Völlig überraschend für mich war, dass er mir sagte, ich könnte diese Aufgabe erfüllen, ohne ein einziges Mal einen Maßstab zu verwenden. Walter hatte stattdessen ein Werkzeug hergestellt, mit dem es möglich ist, direkt auf dem Brett zu arbeiten und die notwendigen Abstände über Proportionen zu bestimmen. Auf diese Weise hatte er bereits andere Teile der Orgel gebaut und zu Beginn des Projekts alle Pläne erarbeitet.

Was ist die Funktion eines Wellenbretts und wie wird es konstruiert? Was die Konstruktion betrifft, muss die Antwort immer lauten: Es kommt darauf an. Bedenken Sie, dass es sich beim Bau dieser Orgel um ein Projekt handelt, dessen wichtigstes historisches Vorbild das organo di legno in der Silbernen Kapelle in Innsbruck ist – also eine Orgel, die um das Jahr 1580 herum gebaut wurde. Eine moderne Mechanik wäre aufwendiger und vermutlich auch leiser in der Anwendung, dadurch aber auch wesentlich komplexer und könnte nicht ohne genaue Messungen gebaut werden. Und dennoch entspricht die Funktion eines modernen Wellenbretts im Grunde der seines historischen Pendants: Drückt man auf eine Orgeltaste, öffnet sich ein Ventil, das Luft aus einem Blasebalg in einen Kanal der Windlade leitet. Dort sind verschiedene Pfeifen aufgereiht, die beim Eintreffen der Luft alle denselben Ton erzeugen. Über die sogenannte „Registrierung“ ist es möglich, einige der Pfeifen individuell ein- oder auszuschalten.

Das Wellenbrett dient als Übertragungselement zwischen der Klaviatur und dem Ventilsystem in der Windlade. Es besteht aus einer Reihe von Stäben, den sogenannten Wellen, die jeweils einer bestimmten Taste auf der Klaviatur zugeordnet sind. Anordnung und Größe der Klaviatur sind mehr oder weniger festgelegt, die Pfeifen können aber natürlich nicht so in die Orgel eingebaut werden, dass sie den gleichen Platz einnehmen wie die Klaviatur – dafür sind sie zu breit. Da die Ventile aufgrund dieses Platzproblems nicht direkt an die Tasten angeschlossen werden können, wird das Wellenbrett benötigt, um den mechanischen Druck, der auf die Tasten ausgeübt wird, auf die entsprechenden Ventile weiterzuleiten. Die Anordnung der Ventile folgt hierbei ebenfalls anderen Kriterien. In diesem speziellen Fall werden beispielsweise aufgrund der mitteltönigen Stimmung alle großen Terzen nach Möglichkeit auf der gleichen Seite der Windlade angeordnet. Als Beispiel dient das E im großen Oktavbereich, dessen große Terz nach unten das C und die große Terz nach oben das Gis ist. Dies bedeutet, dass sich die Kanäle für diese Töne nebeneinander in der Windlade befinden. Die Position des einen Endes der Wellen wird somit durch die Anordnung der Pfeifen in der Windlade bestimmt, das andere Ende einer jeden Welle durch die Anordnung der Klaviatur. Auf diese Weise können die Stäbe in einem relativ kleinen Raum angeordnet werden, ohne dass sie sich gegenseitig behindern – was ein gewisses Maß an Präzision erfordert.

Das fertige Wellenbrett. Foto: Deutsches Museum, M. Zahnweh CC BY-SA 4.0


Hier sehen Sie das fertige Wellenbrett. Auf der Seite der Klaviatur müssen die Stäbe so ausgerichtet werden, dass ihre Enden jeweils einen bestimmten Platz in der vertikalen Anordnung einnehmen und die Drähte, die die Tasten mit den Stabenden verbinden, einander nicht berühren. Dasselbe gilt für die anderen Enden der Stäbe. Von dort gehen die Drähte nach oben zu der Seite des Wellenbretts, die den Pfeifenventilen zugewandt ist und auch hier sind die Stäbe vertikal so angeordnet, dass sie einander nicht berühren – wenn auch mit größeren Abständen. In der Horizontale hingegen wird fast jede Fläche auf dem Brett von zwei Stäben eingenommen, von denen einer zu einem Ventil auf der linken und der andere zu einem Ventil auf der rechten Seite führt.

Schablone zur Vorbereitung der Metallstäbe für das Wellenbrett. Foto: Deutsches Museum, M. Zahnweh CC BY-SA 4.0


Bei der Anfertigung muss jeder Stab gebogen, gefeilt, abgeflacht und mit kleinen Drahtringen so am Brett befestigt werden, dass er sich bewegen kann. Zuerst muss die Position des Stabs in Bezug auf seine vertikale und horizontale Ausrichtung auf dem Holzbrett bestimmt werden. Dafür wurde ein von Walter vorbereitetes Werkzeug verwendet, auf dem in regelmäßigen Abständen Indikatoren angebracht sind (siehe Abbildung). Sie sehen hier zwei Pfeile, die die Anfangs- und Endposition für einen Stab anzeigen, der noch nicht hergestellt wurde. Die Feile dient lediglich dazu, um die gerade Linie besser zu veranschaulichen. Wie Sie sehen, stimmen beide Indikatoren mit der „Abstandsnummer“ 24 auf dem Werkzeug überein. Wenn Sie der Linie folgen, die auf der rechten Markierung beginnt, können Sie sehen, dass sie auf dem Windladekanal mit der Bezeichnung „re 3“ endet. Die Bezeichnung rührt vom italienischen Tonstufensystem her – do, re, mi, fa usw. – und entspricht dem Ton d. Beachten Sie, dass auf der mit der Zahl 24 bezeichneten horizontalen Achse ein weiterer Stab liegen wird, der zum Ventil auf der linken Seite führen wird. Er wird somit zwar denselben horizontalen, jedoch einen unterschiedlichen vertikalen Raum einnehmen und somit anderen Tasten zugeordnet sein.

Vorbereitung der Metallstäbe. Foto: Deutsches Museum, M. Zahnweh CC BY-SA 4.0


Um die richtige Länge eines Stabes zu bestimmen, lege ich ihn einfach auf das Holzbrett und richte ihn an der Position der entsprechenden Taste und des entsprechenden Ventils aus. Mithilfe einer Schablone – in diesem Fall einem Stück Holz – erweitere ich die Länge auf jeder Seite um ein bestimmtes Stück und markiere die entsprechende Stelle, indem ich den Stab dort leicht anfeile.

Biegung der Stäbe. Foto: Deutsches Museum, M. Zahnweh CC BY-SA 4.0


Um Unstimmigkeiten zu vermeiden, ist es sehr wichtig, dass die Abmessungen während des ganzen Prozesses immer demselben Prinzip folgen. Nachdem ich den Stab auf die richtige Länge geschnitten habe, müssen die Enden auf beiden Seiten in einen 90° Winkel gebogen werden. Dazu wird der Stab in einem Schraubstock fixiert und kalt gehämmert.

Da der Abstand zwischen den beiden Winkeln den vorgegebenen Linien auf dem Brett entsprechen muss, musste ich erst herausfinden, wieviel der Gesamtlänge des Stabs durch das Biegen verloren geht und wieviel ich demnach immer addieren musste, um am Ende trotzdem die richtige Länge zu bekommen. Nachdem dies einmal geglückt war, konnte ich die korrekte Länge mithilfe eines weiteren Werkzeugs, einer Anreißleine, auf die anderen Stäbe übertragen.

In einem nächsten Schritt feile ich die abgerundeten Ecken so, dass ihr Winkel ebenfalls 90° beträgt. Dies ist notwendig, damit sich der Stab in den Metallringen, an denen er befestigt ist, frei bewegen kann und nicht an eventuellen Unebenheiten hängen bleibt, damit weder Lärm noch unterwünschte Reibungen verursacht werden. Der letzte Schritt besteht darin, kleine Ringe aus Messingdraht herzustellen, die als sehr einfache Träger fungieren, damit sich die Stäbe bewegen können. Um die Position dieser kleinen Ringe zu bestimmen, wurden sie mit einer Nadel markiert, während jeder Stab an der jeweiligen Taste und dem jeweiligen Ventil ausgerichtet und korrekt positioniert wurde. Anschließend konnte ein Loch gebohrt werden und der Stab ist fertig.

Das ganze Wellenbrett auf diese Weise zu bauen, hat meine Vorstellung vom Innenleben einer Orgel (ein Instrument, über das ich bisher nicht viel gewusst hatte) stark verbessert. Ich konnte nun viel besser nachvollziehen, wie die jeweiligen Teile miteinander interagieren und wie sehr das Endergebnis sowohl von der Bauweise als auch von den dabei verwendeten Materialien abhängt. Diese beiden Faktoren lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten und ich glaube, dass Walter mir dieses Wissen übermitteln wollte, indem er mich einen Teil des Instruments mit meinen eigenen Händen bauen ließ.

Es muss nicht extra betont werden, dass diese Erkenntnisse ungemein dadurch bereichert wurden, Walter bei seiner Arbeit an den Holzpfeifen und dem Balg zuzuschauen und ihm zahlreiche Fragen zum Bau und zur physikalischen Grundlage einer Orgelpfeife stellen zu dürfen. Ich bin überzeugt davon, dass das Bauen nach historischem Vorbild – sofern es auf wissenschaftlich fundierte Weise erfolgt – unser Verständnis von bestimmten Konstruktionsprinzipien verbessert und unser Bewusstsein für Aspekte schärft, die wir sonst vielleicht nicht als wichtig angesehen hätten. Aus diesem Grund kann es sich um eine wirkmächtige wissenschaftliche Methode handeln.

Zitierweise: Leon Chisholm, „Klangholz und Holzklang: organo di legno“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.

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