Sphärenklänge

Glasharmonika, Hersteller unbekannt, Deutschland um 1800, Inv.-Nr. 7996

Benjamin Franklin an der Glasharmonika. Gemälde: Deutsches Museum, München, BN 04925 CC BY-SA 4.0


Benjamin Franklin (1706–1790), Naturforscher, Wissenschaftler und Diplomat, nahm sich während seiner Zeit in England den Herausforderungen der musical glasses an und konstruierte 1761 die Glasharmonika. Die Gläser stellte der Londoner Glasbläser Charles James her.[10]   Franklin entwickelte ein neues Design, das Auswirkungen auf die Spielweise hatte und das Instrument populär machte. Der in London lebenden Musikerin Marianne Davies (1743/44–1818/19)[11]  schenkte Franklin eine Glasharmonika, sie machte das Instrument in Europa bekannt.

Einem Brief Franklins von 1762 an seinen Kollegen Giambattista Beccaria (1716–1781), Experimentalphysiker in Turin, sind Details der Erfindung zu entnehmen: Glaskalotten verschiedener Größe werden nebeneinander auf eine Spindel gesetzt und mit einem Kork fixiert. Über ein Pedal wird ein Schwungrad in Bewegung gesetzt, so dass die Spindel samt Gläser rotiert. Nun können die Gläser direkt mit befeuchteten Fingern zum Klingen gebracht werden. Die neue Anordnung der Gläser ermöglicht gleichzeitiges Spiel mehrerer Töne pro Hand. Und auch die Spielposition veränderte Franklin, denn der/die Spieler*in sitzt nun am Instrument wie bei den weitverbreiteten Tasteninstrumenten. Das Spiel selbst sei nicht schwer zu erlernen, so Franklin. Gerade Laien und damit eine neue Zielgruppe sollte sich von dem Instrument angesprochen fühlen. 

Benjamin Franklin an der Glasharmonika. Scherenschnitt: Deutsches Museum, München, BN 01361 CC BY-SA 4.0

Franklin beschreibt den Klangcharakter in einer Art, die die Rezeption der folgenden Jahrzehnte prägen wird:

"The advantages of this instrument are, that its tones are incomparably sweet beyond those of any other; that they may be swelled and softened at pleasure by stronger or weaker pressures of the finger, and continued to any length; and that the instrument, being once well tuned, never again wants tuning."[12]

Glasharmonika nach Franklin. Kupferstich: Deutsches Museum, München, CD 56494 CC BY-SA 4.0


Langanhaltende und noch dynamisch zu variierende Töne sind Ziele vieler Erfindungen der Zeit. Der Vergleich mit der menschlichen Stimme liegt nahe. Hier knüpfen die Beschreibungen der folgenden Jahrzehnte an und feiern den süßen, himmlischen Ton, der als Sphärenharmonie, engelsgleich und überirdisch wahrgenommen wird. Eine direkte Wirkung auf die Seele wird der Glasharmonika zugesprochen; möglicherweise wegen des durchdringenden Klangcharakters, aber sicher auch wegen der direkten Spielweise, bei der die schwingenden Glaskalotten unvermittelt mit den Fingerkuppen zu spüren sind. Hörphysiologische Theorien der Zeit, genauer Konzepte der Übertragung von Schall auf Ohr und Seele, mögen eine Rolle spielen.[13]  Und so kommt die Glasharmonika vielfach bei getragenen und empfindsamen Stücken zum Einsatz und eröffnet Welten des Übernatürlichen, der Geister und des Wahnsinns.

Franklin reiste 1762 zurück nach Philadelphia und nahm eine Harmonika mit. England, Deutschland und Nordamerika werden die zentralen Regionen für die Verbreitung des Instruments. Kompositionen für Glasharmonika, so von Johann Adolph Hasse, Wolfgang Amadeus Mozart und Karl Leopold Röllig, lassen nicht lange auf sich warten. 

Entnommene Glasschale mit Schleifstellen zur Stimmung und handschriftlichen Angaben (Inv.-Nr. 7996). Foto: Deutsches Museum, R. Krause CC BY-SA 4.0


Die Glasharmonika des Deutschen Museum hat einen Tonumfang von 2 ½ Oktaven, er reicht von f bis c3. Die gold-markierten Kalotten entsprechen den schwarzen Tasten des Klaviers. Das Instrument ist heute kaum spielfähig, da zwei Glasschalen defekt und zwei weitere zum Schutz entnommen sind. Die tiefste spielbare Schale erzeugt ein G. Das Pedal und die Mechanik hin zum Schwungrad sind weitgehend unbeweglich.

Glasschale (Inv.-Nr. 7996). Foto: Deutsches Museum, R. Krause CC BY-SA 4.0

Aufsicht (Inv.-Nr. 7996). Foto: Deutsches Museum, R. Krause CC BY-SA 4.0

Gesamtansicht der Glasharmonika (Inv.-Nr. 7996). Foto: Deutsches Museum, R. Krause CC BY-SA 4.0

 

Im Ruhezustand konnten Einzeltöne und Akkorde angespielt werden. Das Instrument ist leicht verstimmt. Der Stimmton A liegt bei etwa 426 Hz. Auch wenn die Kalotten durch Schleifen des Glasbodens gestimmt werden können, ändert sich doch die Stimmung nach ihrer Anbringung auf dem Kork leicht. Zudem ist Glas eine erkaltete Flüssigkeit, die sich mit der Zeit weiter verformen kann, was sich auf die Stimmung auswirkt.

Die Aufnahme fand am 31. Juli 2018 in einem Depot des Deutschen Museums statt. Die Nachhallzeit des Raumes betrug 630 ms. Bruno Kliegl dokumentierte Einzeltöne sowie ausgewählte Akkorde auf den intakten Kalotten.

Musikbeispiel

Bruno Kliegl bei der Vorbereitung zur Aufnahme. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Improvisation in cis-Moll. Musikbsp.: Deutsches Museum, B. Kliegl CC BY-SA 4.0

Bruno Kliegl und Ralph Würschinger beim Interview. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0


Die PR-Abteilung des Deutschen Museums begleitete die Aufnahmen. Ralph Würschinger erstellte ein Podcast.


Spielen Sie die Glasharmonika doch einmal selbst hier.


Zur Materialanalyse der Glasharmonika geht es hier.

Weiterführende Literatur zum Thema Glasharmonika

Heather Hadlock: „Sonorous Bodies: Women and the Glass Harmonica“, in: Journal of the American Musicological Society 53 (2000) 3, S. 507–542.

Freia Hoffmann: Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt/M. 1991, S. 113–130.

C. Ferdinand Pohl: Geschichte der Glas-Harmonica, Wien 1862.

Karl L. Röllig: Über die Harmonika. Ein Fragment, Berlin 1787.

Rebecca Wolf: „The Sound of Glass: Transparency and Danger“, in: Mary Helen Dupree, Sean Franzel (Hg.): Performing Knowledge, 1750–1850, Berlin, Boston 2015, S. 113–136.


[12]  Benjamin Franklin an Giambatista Beccaria, 13.7.1762, in: Leonard W. Labaree/Whitfield J. Bell (Hg.): The Papers of Benjamin Franklin, New Haven u.a.: Yale University Press 1966, Bd. 10, S. 130.

[13] Zur Glasharmonika, Spielweise, ProtagonistInnen und sinnlichen Wirkung siehe Freia Hoffmann: Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt: Insel 1991; Stefan Drees: „,Sphärenmusik' und ,Gräberton'. Zum Bedeutungsgefüge von Glasklängen, in: Neue Zeitschrift für Musik 170 (2009) 5, S. 24–29; Gerhard Finkenbeiner/Vera Meyer: The Glass Harmonica: A Return from Obscurity, in: Leonardo 20 (1987) 2, S. 139–142; A. Hyatt King: The Musical Glasses and Glass Harmonica, in: Proceedings of the Royal Musical Association (1946–1946), S. 97–122; James Kennaway: Bad Vibrations. The History of the Idea of Music as a Cause of Disease, Farnham, Surrey u.a.: Ashgate 2012; Heather Hadlock: Sonorous Bodies: Women and the Glass Harmonica, in: Journal of the American Musicological Society 53 (2000) 3, S. 507–542.

Zitierweise: Rebecca Wolf, „Glasklänge oder die Faszination der Transparenz“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.

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