Spiel auf Wassergläsern

Verrophon Nr. 2, Adolf Klinger, Reichenberg (Böhmen) 1900, Inv.-Nr. 2003-27

Verrophone zählen zu den Glasspielen, deren Anfänge vermutlich in Asien liegen. In Europa ist Musizieren mit Glas seit dem 16. Jahrhundert belegt durch Traktate und Objekte aus Kunstkammern wie dem Inventar zu Schloss Ambras von 1596.[8]

Glasspiele erfreuten sich im 18. Jahrhundert in Großbritannien und Irland unter dem Namen musical glasses großer Beliebtheit. Sie bestehen aus einem Set aus Trinkgläsern, die mit Flüssigkeit, meist Wasser, befüllt werden. Sie sind recht umständlich aufzubauen, zu stimmen und zudem zerbrechlich. Auch die Spielweise ist etwas eingeschränkt, da die Wege der Hände von einem Glas zum anderen weit sein können. Diese Instrumente erfordern andererseits keine aufwändige oder wartungsintensive Mechanik und ihr Klang ist vielfach bezaubernd. So sind Glasspiele bis heute in Verwendung. Hergestellt wurden sie in weiten Teilen Europas, oftmals in Gegenden mit reicher Tradition an Glasbläserwerkstätten, wie in Böhmen.

Verrophon (Inv.-Nr. 2003-27). (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, DM Fotoatelier CC BY-SA 4.0

Verrophon (Inv.-Nr. 2003-27). (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, DM Fotoatelier CC BY-SA 4.0

In den Museumsunterlagen gibt eine Broschüre Auskunft über das Spiel des Verrophons. Sie enthält eine Spielanleitung sowie mehrere ein- und zweistimmige Stücke, basierend auf Liedern und Volksweisen aus England, Estland, Russland und Schweden. Der Charakter der geeigneten Stücke ist ebenso aufgeführt wie Informationen zum Instrument:

„Das Verrophon eignet sich am besten zur Wiedergabe getragener Lieder und Melodien und erfordert eine gebundene Spielweise, sodass der Spieler die Töne aneinander reihend auszuhalten suchen muss.

Eine bestimmte Vorschrift, mit welcher Hand dieser oder jener Ton gespielt werden soll, lässt sich nicht geben, da dies nicht nur von der Entfernung resp. Lage des nachfolgenden Tones auf dem Instrument abhängt, sondern bei Doppeltönen auch unmöglich ist.

Im Allgemeinen richte man sich danach, jeden neuen Ton nach Möglichkeit mit der anderen inzwischen frei gewordenen Hand zu spielen.

Das Verrophon ist aus einer Reihe verschieden grosser, abgestimmter Weingläser zusammengesetzt, welche auf einem Gestell befestigt sind.

Jedes Glas hat seinen eigenen Ton und wird bis zum angezeigten Strich mit Wasser angefüllt.

Das Ertönen wird hervorgebracht, indem man die innere Fläche am besten des Mittelfingers mit einer Essenz (Essig mit Wasser vermischt) benetzt und damit […] auf dem Rande des Glases reibend herum fährt.“[9]

Tabelle für das Verrophon. Verlag Julius Heinrich Zimmermann, Leipzig, um 1900. Foto: Deutsches Museum, Objektunterlagen Inv.-Nr. 2003-27.

Verrophon (Inv.-Nr. 2003-27). (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, DM Fotoatelier CC BY-SA 4.0


Das Verrophon des Deutschen Museums kann aufgrund der erhaltenen Originalrechnung auf das Jahr 1900 datiert werden. Dem Briefkopf dieser Rechnung ist das Spezialgebiet der Musikinstrumentenfabrik Adolf Klinger zu entnehmen, sie führt als Spezialität Aeols-Instrumente auf. Werbeanzeigen der Firma zufolge sind darunter Schlag- und Friktionsinstrumente zu verstehen, Glockenspiele und Xylophone.

Der Tonumfang umfasst zwei Oktaven: von g2 bis g4. Gespielt wird mit benetzten Fingern auf 25 Gläsern, die die Form von Weingläsern haben und in zwei Reihen mit den Füßen über Korkringe auf einer Holzplatte befestigt sind. Die Gläser vibrieren bis in den Fuß hinein. Zur Aufbewahrung befinden sich die Gläser samt Platte in einem Holzkasten, aus dem sie mittels seitlichen Holzgriffen herausgehoben werden können.

Die Gläser sind in Anlehnung an die Klaviertastatur angeordnet, nur der Diskant weicht davon ab. Sie sind unterschiedlich groß und sind vor dem Spiel mit Wasser und ggf. Weinessig zu füllen. Je höher ein Glas befüllt ist, umso tiefer wird der Ton. Die Füllhöhe ist durch eine rote Markierung angegeben. Mit derselben roten Farbe ist auf den Glasfüßen der jeweilige Tonbuchstabe vermerkt. Teilweise ist die Farbe abgeblättert.

*Die rote Markierung zur Füllhöhe fehlt.

Gläser mit roter Linie als Markierung für die Füllhöhe. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Vorbereitung der Aufnahme. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, J. Lee CC BY-SA 4.0

Stimmen des Verrophons. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0


Zur Vorbereitung der Aufnahme wurde das Glas des tiefsten Tons G bis zur Markierung befüllt und als Referenz angesetzt. Die Frequenz beträgt etwa 786 Hz. Die beiden Gläser für A, die sonst dafür in Frage kämen, sind nicht markiert. Die Stimmung der restlichen Gläser erfolgte mithilfe eines Stimmgeräts gleichstufig und weicht teils erheblich von den Markierungen ab. Aus konservatorischen Gründen wurde für die Aufnahme mit destilliertem Wasser und Aceton befüllt.

Stimmen des Verrophons. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Stimmen des Verrophons. Bruno Kliegl, Katharina Preller, Hanna Kirst. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Gestimmte Gläser. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Gestimmte Gläser. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Vorbereitung der Aufnahme. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, J. Lee CC BY-SA 4.0


Die Aufnahme fand am 1. August 2018 in einem Depot des Deutschen Museums statt. Mikrophoniert wurde mit einem A/B Stereo-Paar und einem zentral positionierten Messmikrophon. Bruno Kliegl spielte neben den Einzeltönen die ehemals Maria Theresia von Paradis zugeschriebene Sicilienne. Die Aufnahmen verdanken wir Prof. Dr. Christoph Reuter und Claudio Albrecht vom musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien, das Video erstellte Konrad Rainer vom Deutschen Museum.

Luftballons werden für die akustische Vermessung des Raumes zum Platzen gebracht. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Mikrophonierung. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Musikbeispiel

M-T. v. Paradis: Sicilienne. (Bitte angeben) Video: Deutsches Museum, B. Kliegl CC BY-SA 4.0

M-T. v. Paradis: Sicilienne. B. Schotts Söhne, Mainz, 1924.

M-T. v. Paradis: Sicilienne. B. Schotts Söhne, Mainz, 1924.


Zur Materialanalyse des Verrophons geht es hier.

Ausblick

Wie verhält sich das Instrument während des Spiels und wie beeinflusst es seine unmittelbare Umgebung? Einen ersten Schritt zur Beantwortung dieser Frage unternahmen mithilfe eines optischen Mikrophons die Kooperationspartner Prof. Dr. Christian Große, Lehrstuhlinhaber für zerstörungsfreie Prüfung am Centrum Baustoffe und Materialprüfung der TU München, und sein Mitarbeiter Manuel Raith. Das optische Mikrophon misst die Veränderung der von Schall verursachten Luftdichte. Der Laser des Mikrophons wird dabei je nach Luftdichte unterschiedlich gebrochen reflektiert. Hier wird vom Brechungsindex gesprochen, der optischen Materialeigenschaft, auf deren Basis die Tonhöhe ermittelt werden können. Vorteil dieser Methode ist die besonders hohe Linearität, die bis zum 1-Mhz-Bereich und somit weit außerhalb der Hörschwelle reicht. Im Gegensatz zum Messen mit herkömmlichen Mikrophonen mit Membran, ist das optische Verfahren mittels Licht beinahe „masselos“ und relativ frei von eigenem Schwingungsverhalten des Mikrophons. Anschließen könnten sich Messungen ähnlicher Instrumente, um die Materialität der Schallwellen in nächster Umgebung zum Instrument zu erforschen und zur Entstehung des Gesamtklangs in Verbindung zu setzen.

Vorbereitung der Aufnahme, Positionierung der Videokamera. Mittig im Bild das optische Mikrophon. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, J. Lee CC BY-SA 4.0

Das Verrophon vor der Aufnahme. Rechts im Bild in der roten Halterung befindet sich das optische Mikrophon. (Bitte angeben) Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Weiterführende Literatur zum Thema Gläserspiele

Stefan Drees: „,Sphärenmusik‘ und ,Gräberton‘. Zum Bedeutungsgefüge von Glasklängen“, in: Neue Zeitschrift für Musik 170 (2009) 5, S. 24–29.

Alec Hyatt King: “The Musical Glasses and Glass Harmonica”, in: Proceedings of the Royal Musical Association (1946), S. 97–122.

Peter Sterki: Klingende Gläser. Die Bedeutung idiophoner Friktionsinstrumente mit axial rotierenden Gläsern, dargestellt an der Glas- und Tastenharmonika, Bern: Peter Lang 2000.

Christoph Wagner: „Durchsichtige Klänge. Das wiedererwachte Interesse an Glasharfe, Glasharmonika und Verrophon“, in: Neue Zeitschrift für Musik 170/5 (2009): Fragile Klänge, S. 42-45.

Rebecca Wolf: „Haltbarkeit. Zeit erleben und Klang erforschen mit Instrumenten“, in: MusikTheorie 34/1 (2019): Materialität – Musik und ihre Objekte, hg. v. ders, Franz Körndle, S. 63-81.


[8] Peter Sterki: Klingende Gläser. Die Bedeutung idiophoner Friktionsinstrumente mit axial rotierenden Gläsern, dargestellt an der Glas- und Tastenharmonia, Bern 2000, S. 16.

[9] Das Publikationsjahr ist nicht angegeben. Der Verlag Julius Heinrich Zimmermann existierte von 1886 bis 1938 in Leipzig: https://mfm.uni-leipzig.de/hsm/detail.php?id=102.

Zitierweise: Rebecca Wolf, „Glasklänge oder die Faszination der Transparenz“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.