Glöckchen mit Tasten?

Glasplattenklavier, vermutl. Nürnberg um 1820, Inv.-Nr. 45933

Glasplattenklavier (Inv.-Nr. 45933). Foto: Deutsches Museum, K. Rainer CC BY-SA 4.0

 


Dieses seltene Tasteninstrument verbirgt in einem palisanderfurnierten, rechteckigen Holzgehäuse eine Prellzungenmechanik.[5] Die Hämmer schlagen gestimmte Glasplatten an, die in zwei horizontalen Reihen auf Tragschnüren befestigt sind. Der klingende Tonumfang reicht von e bis c4. Die Untertasten und -beläge sind schwarz lackiert, vermutlich mit Ebenholzauflage, die Obertasten aus geschwärztem Holz sind mit Bein belegt. Das Instrument wurde augenscheinlich häufig gespielt. Ein abgerundetes Schild im Innern des Klaviaturdeckels trägt die Inschrift „In Verlag bei / Heinrich. M: Fuchs. / in Nürnberg.“

Die Inschrift lässt vermuten, dass Heinrich M. Fuchs nicht der Hersteller, sondern der Händler ist. Und tatsächlich ist in Nürnberg ab spätestens 1815 ein Drahtsaitenfabrikant Heinrich Markus Fuchs nachweisbar.[6]  Wenig später wird er als Instrumentenhändler geführt.

Fuchs stand in Geschäftsbeziehungen zu Instrumentenbauern in Nürnberg, München und Wien, die seine Saiten verwendeten. In Industrieausstellungen stellte Fuchs seine Produkte aus und knüpfte internationale Beziehungen. In den 1860er-Jahren wird von der Firma Fuchs als Pianoforte-Handlung gesprochen. So handelt es sich beim Glasplattenklavier um eine Händlerplakette. Der Erbauer ist unbekannt.

Plakette im Klaviaturdeckel. Foto: Deutsches Museum, H. Kirst CC BY-SA 4.0

Blick ins Glasplattenklavier. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Das Instrument ist zwar spielbar, aber 12 Glasplatten sind lose. Sie können eingelegt werden. Der sonst glockenartige Ton wird bei diesen Plättchen allzu schnell gedämpft. In der vorderen, aus Spielersicht ersten Reihe, sind es die Plättchen der Töne f, a1, es3, a3, h3; in der hinteren Reihe c2, d2, e2, gis2, h2, b3, c3.

Lose Glasplatten. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Lose Glasplatten. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

2 Reihen Glasplatten. Foto: Deutsches Museum, H. Kirst CC BY-SA 4.0

Eingelegte Glasplatten. Foto: Deutsches Museum, H. Kirst CC BY-SA 4.0

Claudio Albrecht und Leon Chisholm bei der Vorbereitung der Aufnahme. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0


Leon Chisholm spielte die Einzeltöne für die Sample library und eine Improvisation ein. Hierfür wurden zwei Mikrophone als Stereopaar jeweils etwa 20 cm entfernt vom hohen und tiefen Register des Instruments aufgestellt. Ein drittes Mikrophon, zentral vor dem Instrument, nimmt in mono auf, um ungewollte Effekte wie Phasenprobleme oder Laufzeitunterschiede der Raumreflexion ausschließen zu können. Alle Mikrophone verfügen über eine Kugelcharakteristik, die dem Hören des menschlichen Ohrs nahekommt. Die Mikrophone wurden vor der Aufnahme kalibriert, d.h. auf -6 dB bei 94 dB eingepegelt.[7]

Hanna Kirst positioniert die losen Glasplatten. Daneben Claudio Albrecht und Christoph Reuter. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Leon Chisholm vor der Aufnahme. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Vorbereitungen. Foto: Deutsches Museum, J. Lee CC BY-SA 4.0

Messung des Nachhalls. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0


Um die Nachhallzeit des Raums für die Aufnahmen und Bearbeitung der Klänge für die Sample library einbeziehen zu können, wurde ein Luftballon zum Platzen gebracht. Ein impulsförmiges und breitbandiges Signal entsteht, von dem aus Nachhallzeit und Frequenzabhängigkeit des Hallsignals beurteilt werden. Besondere Anhebungen bestimmter Frequenzbänder sind so identifizierbar. Die Nachhallzeit betrug 630 ms.

Aufgenommen wurde mit einem Behringer U-Phoria UMC404HD Audio-Interface in die DAW „Adobe Audition“. Die Aufnahme fand am 31. Juli 2018 in einem Depot des Deutschen Museums statt.

Aufnahmeequipment. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Aufnahmeequipment. Foto: Deutsches Museum, R. Wolf CC BY-SA 4.0

Musikbeispiel

Improvisation in G-Dur. Musikbsp.: Deutsches Museum, L. Chisholm CC BY-SA 4.0


Spielen Sie das Glasplattenklavier doch einmal selbst hier.


Zur Materialanalyse des Glasplattenklaviers geht es hier.


[5] Ein ähnliches Instrument befindet sich im Historischen Museum der Stadt Regensburg. Gebaut wurde es nach 1856/57 von Joseph Schweiger in Stadtamhof, das heute zu Regensburg gehört. Vgl. Michael Wackerbauer, Die Musikinstrumente im Historischen Museum der Stadt Regensburg. Katalog. Regensburg 2009, S. 181-184.

[6] Diese Information beruht auf den Recherchen von Michael Zahnweh, der folgende Literatur während seines Praktikums ausgewertet hat: Jahresbericht der Königlichen Studienanstalt Nürnberg, Nürnberg 1815, S. 27; Verhandlungen der Zweyten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern, Bde. 3, 4, München 1822, S. 333; Amtlicher Bericht der allerhöchst angeordneten Central-Industrie-Ausstellungs-Commission über die im Jahre 1840 aus den acht Kreisen des Königreichs Bayern in Nürnberg stattgehabte Industrie-Ausstellung, Nürnberg 1842, S. 62; Neues Adreßbuch der Stadt Nürnberg, Alphabetisches Namensverzeichniß, Bd. 3, Nürnberg 1857, S. 75; Süddeutsche Presse, Nr. 7. 8. Jan. 1868, S. 8; Das Handels-Register des Königreichs Bayern im Jahre 1871, München 1872,  S. 223; Amtlicher Bericht der allerhöchst angeordneten Central-Industrie-Ausstellungs-Commission über die im Jahre 1840 aus den acht Kreisen des Königreichs Bayern in Nürnberg stattgehabte Industrie-Ausstellung, Nürnberg 1842, S. 61.

[7] Vielen Dank an Katharina Preller und Michael Zahnweh für die Erstellung der Aufnahmeprotokolle.

Zitierweise: Rebecca Wolf, „Glasklänge oder die Faszination der Transparenz“, in: Materialität der Musikinstrumente. Eine virtuelle Ausstellung.

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